Also, Kinners, das begab sich zu der Zeit, als der Wahn wieder um sich griff, fern die Völker aufeinander schlugen und auch hier nicht alles eitel Sonnenschein war. Das lag nicht nur am tiefliegenden, gelbgrauen Dezemberhimmel.
Das Nahen des großen Verkaufsfestes ließ sich länger nicht ignorieren, und während die einen zweifelten, ob das Ledertäschchen für 300 € sich nicht zu mickrig ausmachte und unterm Baum wirklich gutturales Freudengestöhne auslösen würde (soviel zum Thema Prostitution), grübelten die anderen, wie ihre 300 € bis zum 24. vorhalten sollten.
Einige waren zuversichtlich, dass sich das Thema Sex während der vielen freien Tage mit einem schnellen Blow-Job erledigen ließe und ängsteten sich einzig, ob ihre Nervenkraft die sich bald hereinwälzende horden- & herdenartig-verklumpte Verwandtschaft überstünde.
Anderen kam zu Bewusstsein, dass sie dieses Jahr wieder keinen Sex gehabt hatten und dass auch diesen Abend niemand da sein würde, sie in den Arm zu nehmen.
Also, ich finde die Menschen ja irgendwie schwierig... anspruchsvoll auch. Machen sich ständig Sorgen oder wollen immerzu etwas. Leben, wie Schopenhauer sagt, an einem schönen Sommertag unter einer kleinen, dunklen Wolke, die sich immer mit ihnen bewegt, im Schatten - nur Vergangenheit und Zukunft leuchten im Licht.
Da sind wir Hunde doch anders. Quasi das Gegenteil. Für uns zählt die Gegenwart. Isses warm & gemütlich - super. Wenn nicht - muss frau sich das eben so angenehm wie möglich machen. Schön gegessen - klasse. Jetzt noch ein bischen um Nachschlag betteln - ach, gibts wirklich nix mehr? Na, dann hau ich mich aufs Ohr.
So denkt auch Erwin, der Held meines Weihnachtsmärchens. Eben noch hatte er in einem winzigen Dörfchen irgendwo in Osteuropa die Nachbarsgänse aus dem Gemüsegarten verbellt und wollte sich gerade auf die Suche nach dieser feschen weißen Streunerin begeben, jetzt muss er, in einer schäbigen Decke festgemummelt, mucksmäuschenstill auf dem Jungfernstieg liegen.
Organisiert war alles tip-top, incl. Bus-Shuttle. Aber das Trockenfutter in der Unterkunft. Anfangs wollte Erwin nicht glauben, dass hund das essen könne. Stinkt vorher - und hinterher. Und das ruhig-liegen. Gar nicht seine Sache.
Und sein Chef: grinst und flucht den Passanten ins Gesicht. Knickrige Protestanten, geizige Norddeutsche, elende Calvinisten, die glaubten wohl noch an die Prädestination. Alles in seiner Sprache natürlich. Erwin braucht nur verfroren zu gucken. Kunststück.
Ab und zu wird ihm schlecht. Von Parfümschwaden. Sonst staunt er: er wusste gar nicht, dass die Menschen so verschieden aussehen können, und wieviele Sprachen es gibt... hier gehen wirklich alle vorbei. Alle? Hmm, Bauern gabs nicht, und Bäuerinnen mit Kopftuch, die nach Kuh und Mist und Milch riechen, und dann sieht er auch diese Leute mit den schwarzen Hüten nicht, und den langen Locken...
Also, so gut wie zu Hause wars nicht, aber ließ sich aushalten - bis es eines Abends Ärger gab. Uniformen erkennt Erwin sofort, und gefallen tun die ihm überhaupt nicht (wer sowas freiwillig anzieht? Eigentlich hasst er nichts mehr als Uniformen - außer vielleicht den fetten, hinterlistigen Kater von nebenan). Gab auch Geschrei und Gedrängel, und sein Chef sagte zu ihm: Lauf. Hau ab. Hier hast du’s besser. Die lassen hier niemanden umkommen.
Und Erwin lief. Guckt noch kurz dem Bus hinterher, in dem sie seinen Chef wegfahren - und läuft die Straße hinunter.
Scheiß drauf, denkt er, etwas besseres als Trockenfutter
finden wir überall.
(Wie wird sich Erwin allein in Hamburg zurechtfinden?
Fortsetzung folgt)